Abo, 5 Jahre, aus Libanon

„Er ist tot.“

Der Satz hallt lange nach. Es ist Abeds Antwort auf die Frage, wo der Mensch sei, der ihm an meisten bedeutet: sein Vater.

Fünf Jahre alt ist Abed, den alle nur Abo nennen. Zweieinhalb Jahre ist es her, dass sein Vater bei den schweren Gefechten um Aleppo starb. Die Erinnerungen an ihn müssen zu Abos allerersten überhaupt gehören. Sie sind alles, was dem kleinen Jungen geblieben ist.

Abo hat die Bomben vom Himmel fallen sehen. Er hat die Detonationen gespürt und gehört, wie Scharfschützen die Hauswände durchsiebten. Es sah sie schießen. Und er sah sie sterben.

„Andauernd fragte er mich nach einem eigenen Gewehr“, erzählt seine Großmutter Iman Kinno. Schon auf der tagelangen Flucht raus aus Syrien ließ der Junge ihr keine Ruhe. „Ich habe ihm dann eine Spielzeugpistole gekauft.“

Es lässt die alte Frau erschaudern.

„Er will uns beschützen. ‚Wenn Flugzeuge kommen und Bomben werfen, dann schieße ich sie ab’, hat er gesagt.“

Sieben Enkel hat Iman Kinno, die meisten kaum älter als Abo. Alle sieben hat der Krieg zu Waisen gemacht. Alle sieben hat sie vor Bomben und Gewalt gerettet. Zweimal ging die 64-Jährige dafür den gefährlichen Weg über die Grenze. Sie wurde verhaftet, verhört, geschlagen.

Den Strapazen der Flucht, dem Schmerz über den Verlust der eigenen Kinder und den Sorgen um die Zukunft ihrer Enkel tritt sie mit einer großen Freundlichkeit und beeindruckender Geduld entgegen. Zumindest vor den Kindern hält sie ihre Schrecken verborgen. So gut es geht, versucht sie ihnen Vater und Mutter zu ersetzen. Sie kuschelt, tröstet, ermahnt und schimpft, sie kocht, putzt, hilft beim Lernen und schlichtet Streit. Meistens alles zur gleichen Zeit.

„Allah hat mir Gesundheit gegeben, um mich um meine Enkel zu kümmern“, sagt sie. Ihre gütigen Augen weiten sich, sie atmet tief ein und lacht. „Und wenn die Kinder gar nicht hören wollen, drohe ich ihnen mit Mr. Ali.“

Mr. Ali, so nennen sie Ali Tafesh voller Respekt. Für die Kinder ist er eine Autorität, vielleicht so etwas wie eine Vaterfigur. Denn der libanesische Landbesitzer kümmert sich um sie. Gut 50 syrischen Familien bietet er auf seinem Ackerland in Ketermaya Zuflucht. Er gab ihnen Baumaterial für einfache Hütten. Er sorgt für Strom und Wasser und spendet Hefte und Stifte für den Schulunterricht. Geld nimmt er keines dafür. Es sei seine humanitäre Pflicht und seine Pflicht als Muslim, sagt er. Auch die Mitarbeiter von Islamic Relief versorgen die Menschen regelmäßig mit Lebensmitteln, Medikamenten, Hygieneartikeln, Kleidung oder Decken. Kindern wie Abo helfen sie zum Beispiel mit Malen, Singen oder Rollenspielen, die tiefen seelischen Erschütterungen zu bewältigen. Dem Alltag in Ketermaya gibt das so etwas wie Normalität.

Abo hat die Spielzeugpistole zur Seite gelegt. Er sucht die Arme seiner Großmutter, küsst ihre faltigen Wangen, schmiegt sich an sie. Schnell vertreibt Iman Kinno ihre Sorgen. In Gegenwart des Kindes richtet sie ihren Blick viel lieber nach vorn.

„Ich wünsche allen meinen Kindern, dass sie nach Syrien zurückkehren. Dass sie arbeiten können, ein eigenes Haus bauen und ihr Leben selbst gestalten.“ Abo würde seiner Großmutter diesen Wunsch nur allzu gerne erfüllen. Für ihn steht fest: „Ich will Bauingenieur werden und große Häuser bauen.“

Erst einmal aber kommt der Winter. Für Abo und seine Großmutter ist es bereits der dritte Winter auf der Flucht. Sie fürchten den starken Regen, den eisigen Wind und den Schnee. Dann wird es nicht nur nachts in den Hütten bitterkalt. Die dünnen Holzwände, die einfache Plane auf dem Dach, die leichten Decken können die Kinder nicht wärmen. Sie sind dringend auf weitere Hilfe angewiesen.

„Ein Ofen, dicke Jacken, Schuhe und ein bisschen finanzielle Unterstützung würde uns retten“, bittet Iman Kinno. Ihre Stimme bebt dabei zum ersten Mal.

Hunderttausende syrische Waisenkinder wie Abo brauchen dringend deine Hilfe!

Ihre Lage in den Flüchtlingslagern im Libanon ist dramatisch. Ihnen fehlt es an allem: Essen, Trinkwasser, Medikamente, warme Kleidung und Öfen für den Winter. Islamic Relief versorgt die Kinder und ihre Familien mit dem Nötigsten und hilft ihnen, die erlebten Schrecken zu überwinden.

Unterstütze unsere Nothilfe für syrische Waisenkinder im Libanon!