Horeya, 11 Jahre, aus dem Libanon

Wenn Horeya mit dem Springseil springt, rafft sie ihr bodenlanges Kleid nach oben und stopft den Saum in die Hose. Ihr Zopf hüpft auf und ab. Für ein paar Momente vergisst die Elfjährige dann die Welt um sie herum. Horeyas Welt, das ist das „Onion Camp“ in der Bekaa-Hochebene. Entlang einer staubigen Straße, inmitten von Gemüsefeldern, haben gut 100 syrische Familien Zuflucht vor Bomben und Terror gefunden.

Von der Zwiebelfabrik, die dem Camp den Namen gibt, stehen nur noch ein paar Ruinen. Dazwischen haben sie ihre Zelte aufgeschlagen. Karge Hütten, zusammengezimmert aus Brettern, Planen und ausgedienten Werbetafeln, ausgestattet mit kaum mehr als ein paar Matratzen und Decken. Nachts kommen die Ratten. Krankheiten breiten sich aus. Die Kinder leiden an Durchfall, Atemwegserkrankungen und Krätze. Zur Schule gehen nur wenige. Das Leben hier ist ein Kampf ums nackte Überleben.

Die libanesische Regierung überlässt geflohene Syrer weitestgehend sich selbst. Für Horeya und ihre Familie bedeutet das: Was sie zum (Über-)Leben brauchen, müssen sie eigenhändig heranschaffen. Islamic Relief ist die einzige Hilfsorganisation, die die Menschen im „Onion Camp“ regelmäßig mit dem Nötigsten versorgt. Es fehlt an allem. Die Lage ist dramatisch, denn der Winter steht vor der Tür. Schon bald sinkt die Temperatur weit unter Null. Schnee wird dann die Bergregion bedecken. Die Helfer vor Ort bemühen sich, wenigsten einen Ofen für jede Familie zu besorgen.

Auch Horeya fürchtet den Winter. Es ist bereits ihr dritter hier im Camp. Aufgewachsen ist das Mädchen in Raqqa im Norden Syriens. Das Leben war gut. Horeya, die jüngste von sieben Geschwistern, hatte viele Freunde, sie lernte und spielte ohne Sorgen. Dann fielen die ersten Bomben auf die Stadt. Rebellentruppen, IS-Terrormiliz und Regierungslager lieferten sich blutige Kämpfe. Unter den Toten war auch Horeyas Vater. Ihrer Mutter blieb keine Wahl. Wollte sie die Familie retten, musste sie das Land verlassen. Mit dem Bus fuhren sie bis zur Grenze. Im Libanon fanden sie Sicherheit. Nur einer von Horeyas älteren Brüdern ist noch in Syrien. Um auch ihn zu holen, brach die Mutter noch einmal nach Raqqa auf. Die Stadt ist inzwischen eine Hochburg des IS.

„Seit über einem Jahr ist sie jetzt weg“, erzählt Horeya leise „Wir telefonieren so oft es geht. Aber sie sitzt fest, sie kann nicht mehr herkommen. Ich vermisse sie so sehr und bete jeden Tag für sie.“ „Das schlimmste hier im Camp sind die Lebensbedingungen“, sagt Horeyas Bruder.

Liebevoll kümmert sich der 25-jährige – selbst Ehemann und Vater von fünf Kindern – um seine Schwester. Zu acht teilen sie sich die kleine Hütte. Sein Geld verdient er als Tagelöhner auf den Feldern oder Baustellen der Umgebung. Vier bis zwölf Dollar sind es am Tag. Das Geld reicht hinten und vorne nicht. Alles ist teuer: Essen, Strom, Trinkwasser, Kleidung, Medikamente, der Arztbesuch. Auch die Mutter in Syrien unterstützen sie. Immer wieder gebe es Tage, an denen er am Morgen nicht weiß, wie er das Essen für den Abend besorgen soll, erzählt Horeyas Bruder. Findet er dann keine Arbeit, leiht er sich Geld.

„Ich lasse sie nie ohne Essen ins Bett“, sagt er.

Seine Stimme bricht. Er küsst Horeyas Stirn. Horeya hilft ihm so gut sie kann. Sie hält die Hütte sauber, hilft der Schwägerin beim Kochen, hütet die Kinder und schleppt Wasser vom Brunnen heran. In die Schule geht Horeya nicht mehr. Ihr einziges Glück, das ist ihre Freundin Hanadi. Zusammen spielen sie und helfen sich bei der Hausarbeit. Sie halten sich an den Händen. Sie teilen Erinnerungen, Geschichten und Geheimnisse.

„Es gibt nichts, was mich sonst glücklich macht“, sagt Horeya.

Oft schlendern die Mädchen gemeinsam über die Felder und schauen auf den kahlen Gebirgszug am Horizont. Dort oben verläuft die Grenze zu Syrien. Keine 20 Kilometer entfernt – für die Freundinnen ein unerreichbarer Sehnsuchtsort.

„Wenn wir alleine sind, reden wir oft darüber, wie das Leben in Syrien war. Wie wir dort gespielt haben und was wir in der Schule gelernt haben. Und wir reden darüber, was wir in Syrien machen werden, wenn Frieden ist. So verbringen wir die Zeit. Es gibt sonst nichts zu tun.“

Nach Syrien zurückzukehren und wieder in die Schule zu gehen, das ist Horeyas großer Traum. Nur ein Wunsch sei noch größer als das:

„Ich möchte meine Mama wiedersehen.“

Hunderttausende syrische Waisenkinder wie Horeya brauchen dringend deine Hilfe!

Ihre Lage in den Flüchtlingslagern im Libanon ist dramatisch. Ihnen fehlt es an allem: Essen, Trinkwasser, Medikamente, warme Kleidung und Öfen für den Winter. Islamic Relief versorgt die Kinder und ihre Familien mit dem Nötigsten und hilft ihnen, die erlebten Schrecken zu überwinden.

Unterstütze unsere Nothilfe für syrische Waisenkinder im Libanon!